Green IT: Ist „grün“ wirklich immer besser?

Umweltbewusstsein birgt auch seine Schattenseiten. Eine IT-Umgebung umweltbewusster zu gestalten erfordert Klarheit bei den Zielen, Zielmetriken und der Ausführung.

Ric Merrifield

Der Begriff „Umweltbewusstsein“ wird so verwendet, als sei er grundsätzlich positiv. Die Reduzierung von Emissionen oder Ihres CO2-Ausstoßes ist tatsächlich ein positiver Aspekt eines umweltbewussten Ansatzes. Für die meisten Unternehmen sieht die Realität jedoch anders aus. So lange sie durch umweltbewusstes Handeln die Kosten nicht quantifizierbar reduzieren können, zeigen sie sich gegenüber dieser Investition skeptisch. Dies gilt besonders in der aktuellen Wirtschaftslage.

Umweltbewusstsein kann je nach Bereich unterschiedliche Bedeutungen haben. Eine ausführliche Definition zu Green IT finden Sie auf Wikipedia (en.wikipedia.org/wiki/Green_computing). Dennoch gibt es eigentlich nur zwei grundlegende Betrachtungsweisen: Bei der Entwicklung oder Herstellung eines neues Produkts achten Sie darauf, dass dessen Stromverbrauch so niedrig wie möglich ist und dass so wenig wie möglich zu entsorgender Sondermüll entsteht. Wenn Sie bereits eine Computerinfrastruktur implementiert haben, bedeutet die Einführung von Green IT möglicherweise die Anschaffung effizienterer Hardware. Es kann durchaus sein, dass dadurch kurzfristig mehr Sondermüll anfällt, langfristig werden Sie jedoch in die Lage versetzt, umweltfreundlich zu handeln.

Telearbeit wird häufig in Zusammenhang mit umweltbewussten Geschäftstechniken gebracht. Hierdurch wird nicht nur der Energieverbrauch (Gas und Strom) gesenkt, sondern auch die Arbeitsmoral der Mitarbeiter positiv beeinflusst. Dies darf im Gesamtvergleich nicht außer Acht gelassen werden.

Sie müssen jetzt nur noch feststellen, wie hoch Ihre Kostenersparnis sein wird, und Ihr Geschäftsmodell ist so gut wie geklärt, oder? 

Falsch. Dies ist eine Falle.

Obwohl der Begriff „Umweltbewusstsein“ schon seit Jahren bekannt ist, gibt es nach wie vor nur wenige Daten zu den spezifischen Vorteilen (Kostensenkung oder Steigerung des Vermögenswerts). Dies gilt auch für das Thema IT oder für ein grundlegendes Thema wie zum Beispiel die Nachrüstung eines Gebäudes mit wärmeeffizienteren Fenstern und Heizungen. 

Das Ganze wird noch dadurch erschwert, dass es die Vorstellung eines kollektiven CO2-Ausstoßes gibt. Nur weil Sie Ihre IT-Dienste an ein drittes Unternehmen vergeben, das möglicherweise diese Funktionen als Cloud-Dienst anbietet, haben Sie zwar Ihren CO2-Ausstoß gesenkt, aber tatsächlich haben Sie einfach nur die Arbeit ausgelagert. Der gesamte CO2-Ausstoß bleibt jedoch unverändert.

Die „Falle“ besteht darin, dass Sie sich in die Umweltschutzbewegung stürzen, ohne klare Ziele und Zielmetriken vor Augen zu haben. Im Folgenden werden einige Punkte aufgeführt, die Sie beim Aufbruch in das „grüne“ Zeitalter beachten sollten.

Identifizieren Sie die in Frage kommenden Bereiche 

Der Umfang gemeinsamer Arbeit, die in jedem Unternehmen anfällt, ist immens. IT ist ein gutes Beispiel hierfür. Ermitteln Sie die Bereiche in Ihrem Unternehmen, die nicht zum Kern gehören (wie IT in den meisten Fällen). Es gibt zwei Gründe, mit den nicht zum Kern gehörenden Bereichen zu beginnen:

  • Sie können die bewährten Methoden innerhalb der Branche oder branchenweit beispielsweise von Leistungskennzahlen bis hin zu Umweltbewusstsein untersuchen. Darüber hinaus birgt das Anwenden dieser bewährten Methoden in den nicht zum Kern gehörenden Bereichen ein geringeres Risiko.
  • Die Kernbereiche machen den Unterschied Ihres Unternehmens aus. Das Risiko, das mit Änderungen in diesen Bereichen einhergeht, ist wesentlich höher. Wenn Sie sich also nicht hundertprozentig sicher sind, welche Auswirkungen eine Änderung in einem Kernbereich hat, sollten Sie davon absehen.

Zum Ermitteln der in Frage kommenden Bereiche eignen sich besonders die Techniken, die im Buch „Rethink“ (FT Press, 2009; rethinkbook.com) beschrieben werden, da sie grundsätzlich objektiver sind als zum Beispiel ein Prozess-Workflow. Ein Prozess-Workflow ist eher eine Beschreibung, „wie“ die Arbeit ausgeführt wird, statt mit dem Ergebnis zu beginnen oder damit, „was“ Sie zuerst tun, und dann darüber zu diskutieren, ob die Arbeitsausführung eine Rolle spielt.

Hier folgt ein einfaches Beispiel: Sie fragen einen Mitarbeiter, der gerade ein Fax sendet, was er tut. Er wird Ihnen antworten, dass er ein Fax versendet. Er teilt Ihnen sozusagen seinen Status mit oder bestätigt einen Auftrag oder ähnliches. Für die eigentliche Arbeitsausführung bedient er sich eines Faxgeräts. Durch Trennung dieser beiden Prozess-Workflows können Sie nun die Frage stellen, wie wertvoll diese Aktivität für die beteiligte Funktion und wie die Leistung zu beurteilen ist. Wenn Sie dann den gewonnenen Gesamteindruck berücksichtigen, können Sie extrem objektive Diskussionen darüber führen, wo noch Arbeit erforderlich ist und welche Lösungen dazu beitragen können, die Gesamtleistung zu verbessern.

Bei den nicht zum Kern gehörenden Aktivitäten werden Sie feststellen, dass das „Was“ wiederholt auftaucht, da es durch verschiedene „Wie“-Kennzeichnungen maskiert wurde. Falls Sie auf diese Aktivitäten stoßen, besonders wenn es sich um nicht zum Kern gehörende Arbeiten handelt, können Sie einen Standardprozess oder einen Standard-Softwaresatz ohne große Diskussionen erzwingen. Die ersten zwei Kapitel des Buches „Rethink“ können bei entsprechender Anforderung von der Website kostenlos heruntergeladen werden (der gleiche Inhalt steht auch auf Kindle kostenlos zur Verfügung).

Ermitteln Sie den Ist-Zustand

Ermitteln Sie alle Kosten (weiche und harte Kosten) der Bereiche, die für Verbesserungen in Frage kommen, sodass Sie bei Abschluss des Projekts eindeutige und aussagekräftige Daten zum Vergleich der Ergebnisse vorliegen haben. Nehmen wir einmal das Beispiel zur Telearbeit. Die harten (direkten) Kosten entstehen durch den Gas- und Stromverbrauch für die Mitarbeiter im Büro. Die weichen (indirekten) Kosten, die in Umfragen gemessen werden können, stellen beispielsweise die Zufriedenheit der Mitarbeiter dar. Diese Kosten sind jedoch nicht so überschaubar wie die Zahlen des Energieverbrauchs.

Legen Sie Ihre Zielmetriken fest

Forschen Sie ein wenig nach, um festzustellen, welche Versuche unternommen wurden und welche realisiert werden konnten. Berechnen Sie einige tatsächliche Erfolgsmetriken zum Definieren von Zielen, die zur Erstellung Ihres Geschäftsmodells beitragen. In manchen Fällen müssen Sie neue Wege beschreiten, aber dies sollte nur einen geringen Prozentsatz der Zeit ausmachen, die Sie für die ersten Schritte zur Einführung von Green IT aufwenden.

Schauen Sie sich in anderen Bereichen außerhalb der IT-Branche um

Sehen Sie sich andere Erfolgsgeschichten in Bezug auf Umweltbewusstsein außerhalb der IT-Branche an und finden Sie heraus, ob Sie von deren Ansätzen, Metriken usw. lernen können.

Blicken Sie in die Zukunft

Am 10. Juni 2010 hat die Gruppe „American Energy Innovation Council“ einen Bericht mit dem Titel „A Business Plan for America’s Energy Future“ herausgegeben. Dieser Gruppe gehörten unter anderem der Vorstandsvorsitzende von Microsoft, Bill Gates, und der Geschäftsführer von General Electric Co, Jeff Immelt, an. Sie haben die Regierung der USA um eine Verdreifachung der Geldbeträge für die Forschung in zukünftige Energieressourcen gebeten. 

Was hat dies mit Green IT zu tun? Wir nutzen bereits Energieressourcen auf eine Art und Weise, die wir vor 10 Jahren nicht vorhersagen konnten. In weiteren 10 Jahren wird sich die Sachlage garantiert wieder geändert haben. Wir erkennen jetzt erst, wie sich die Energienutzung und Energiequellen ändern. Hierdurch ändert sich auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis und gerade dieses gilt es, sorgfältig im Auge zu behalten.

Beschaffen Sie Geldmittel

In der aktuellen problematischen Wirtschaftslage werden Geldmittel für ein Konzept, mit dem langfristig Kosten gespart werden können, nicht einfach bewilligt. Unternehmen benötigen höhere Kostenersparnisse schneller, sodass Sie erstmal Ihre Fühler ausstrecken müssen. Die Finanzierung ist häufig eine heikle Sache, und es läuft darauf hinaus, dass sich dieses Thema in den Köpfen der Entscheidungsträger, die die finanzielle Kontrolle innehaben, festsetzt.

Einige Entscheidungsträger treffen eine Entscheidung aus rein finanzieller Hinsicht, sodass Sie klarstellen müssen, dass ausreichende Geldmittel im aktuellen Budget vorhanden sind und die Rendite auf jeden Fall den Kostenaufwand lohnt. Andere Entscheidungsträger treffen eine Entscheidung, weil sie die Steigerung der Mitarbeitermoral und eine Markensteigerung als umweltbewussteres Unternehmen für erstrebenswert erachten. Und wiederum andere Entscheidungsträger möchten erst mit anderen Unternehmen, die ähnliche Projekte erfolgreich umgesetzt haben, Gespräche führen. Lernen Sie Ihre Zielgruppe kennen und passen Sie Ihre Botschaft entsprechend an.

Führen Sie Ihr Vorhaben aus

Die Einführung von Green IT erfordert, wie jedes andere Projekt, Planung, Präzision und Disziplin. Wie bei jedem anderen Projekt werden auch hier unerwartete Ereignisse auftreten, die sorgfältig dokumentiert werden müssen, falls sie den Erfolg oder die Vorhersagbarkeit für zukünftige umweltbewusste Projekte beeinflussen können.

Messen Sie die Ergebnisse

Nachdem Sie nun die Kennzahlen ermittelt haben, sollten Sie auch den Erfolg messen und konkrete Ergebnisse für die kurz- und langfristigen Vorteile von Green IT erstellen.

Wo beginnen Sie?

Ein guter Ausgangspunkt ist die Ermittlung der in Frage kommenden Bereiche für eine umweltbewusste Umstrukturierung. Eine bewegungssensitive Beleuchtung, die sich selbsttätig einschaltet, trägt hervorragend dazu bei, beim Umbau des Gebäudes Kosten zu sparen. Ebenso bleiben viele Server und andere Technologiegerät ständig eingeschaltet. Arbeiten Sie eine Methode aus, mit der sie gemeinsam abgeschaltet oder in eine Art Ruhezustand versetzt werden können. Hierdurch erreichen Sie auch eine Kostenersparnis.

Als weiteres allgemeines Beispiel sei die Ausarbeitung einer Methode genannt, mit der sich die verbrauchte Papiermenge reduzieren lässt. Bei Microsoft werden Jahresberichte zum Beispiel alle elektronisch ohne ein einziges Blatt Papier erstellt. Dies bedeutet eine enorme Papierersparnis für ein Unternehmen der Größe von Microsoft.

Eine größere wirtschaftliche Auswirkung ergibt sich, wenn Mitarbeiter Arbeitsbereiche gemeinsam nutzen oder von zu Hause aus arbeiten können. Dadurch lässt sich nicht nur die Stundenzahl erhöhen, in der die Mitarbeiter arbeiten, sondern auch die verbrauchte Kraftstoffmenge reduzieren. Diesen Faktor können Sie erfassen und quantifizieren.

Dies ist zumindest ein Anfang. Die Umweltschutzbewegung ist fantastisch, aber Business ist Business. So lange Sie keine konkreten vorhersagbaren Vorteile nennen können, kommen Sie mit Ihren Bestrebungen eventuell nicht weit.

 

Am Rande: Eine neue Betrachtungsweise hinsichtlich Energieverbrauch

Die aktuellen Bestrebungen zur Sanierung von Gebäuden, um Tausende Liter von Öl und Wasser oder die verbrauchten Kilowattstunden zu reduzieren, weisen durchaus Ähnlichkeit zu den Bestrebungen in der IT-Branche auf – auch wenn dies wie eine unvollkommene Analogie erscheint. Beides wird als einfach erreichbares Ziel hinsichtlich Ersparnisse in der Umweltschutzbewegung angesehen.

In den USA hat die Regierung die Sanierung von Gebäuden seit den 70er Jahren subventioniert. Trotz dieser Subventionen lief die Umsetzung nur langsam an. Luke Falk, Projektleiter bei der New York State Energy Research and Development Authority, erläuterte, dass diese Projekte häufig nicht in die Tat umgesetzt werden, da zu wenig Informationen zur Energienutzung vorliegen, sodass Nutzer keine stichfesten Aussagen über die tatsächlichen Energieeinsparungen machen können.

Daher müssen wir uns weiter mit dem Thema Energieverbrauch beschäftigen. Viele Unternehmen gehen hinsichtlich ihres IT-Energieverbrauchs geschickter vor, im Vergleich zum Gesamtverbrauch in den Gebäuden gehen die meisten Unternehmen jedoch nicht geschickt damit um. Folglich werden die Bestrebungen zum Umweltschutz weiterhin verlangsamt. 

In einem Artikel der New York Times sagt Falk: „Es gibt keine uns bekannte nationale Datenbank, in der diese Ergebnisse aufgezeichnet werden. Gleichermaßen verwenden Dienstprogramme landesweit die Energy Star-Programme, aber auch hier gibt es keine zentrale verbundene Datenbank zur Aufzeichnung der Ergebnisse für diese Bestrebungen.“

Wir müssen mehrere Fallstudien untersuchen, um die Methoden – und die Ersparnisse – zu realisieren. In New York City arbeitet eine von der Deutsche Bank America Foundation (DBAF) geführte Gruppe an der Erfassung dieser Fallstudien zu Gebäudesanierungen. Im gleichen Artikel teilt der Präsident der DBAF, Gary Hattem, mit: „Das größte Hindernis, diese Praktiken zu etablieren, sind die Daten, anhand derer die Gebäudeeigentümer quasi zur Sanierung ihres Grundbesitzes überredet werden und gleichzeitig die Bereitschaft von Kreditinstituten zunimmt, diese Projekte zu finanzieren. Falls die Kreditinstitute aus den Sanierungen gewonnene, vorhersagbare Ersparnisse bestimmen können, können sie basierend auf diesen Ersparnissen Finanzierungsinstrumente ausarbeiten, um sie auf dem freien Markt zu verkaufen.“

Sehen Sie sich einmal die größeren wirtschaftlichen Auswirkungen an. Die Durchführung eines umweltbewussten Projekts erfordert zusätzlichen Arbeitsaufwand. Neben den Kostenersparnissen des Projekts und der möglichen Steigerung des Vermögenswerts werden auch Arbeitsplätze geschaffen. All dies muss auf jeden Fall berücksichtigt werden. Für Städte, die Gebäudesanierungen durchführen, sind diese Faktoren ebenso interessant wie für die IT-Welt.

Ric Merrifield

Ric Merrifieldleitet die Entwicklung von Geschäftsarchitektur bei Microsoft Corporation in Redmond, Washington. Er ist Co-Autor des Artikels „The Next Revolution in Productivity", der in 2008 in der Harvard Business Review veröffentlicht wurde. Merrifield ist außerdem Autor des Buchs „Rethink – a Business Manifesto for Cutting Costs and Boosting Innovation", erschienen bei FT Press 2009.

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