Berichte aus der PraxisDer Verhaltenskabeljau

Betsy Aoki

Manchmal brauchen Sie möglicherweise keinen größeren Server oder besser geschulte Benutzer, die Sie nicht anpiepsen, wenn Sie gerade dabei sind, mit der Arbeit Schluss zu machen, um das Wochenende zu genießen. Manchmal ist nicht die Verwaltung von Code das Problem – vielleicht brauchen Sie einfach nur einen riesigen Fisch.

Vor etwa einem Jahr arbeitete ich für die Live QnA-Website (qna.live.com) an Berichten über Missbrauch. Wir hielten die Schaltflächen zum Löschen in ständiger Bereitschaft und überwachten die Website in Bezug auf schwachsinnige Angriffe und schlechtes Verhalten. Uns standen interne Tools zur Verfügung. Wir hatten externe Richtlinien. Wir boten ein paar echten Spinnern die Stirn, die versuchten, unsere Fragen mit üblem Inhalt zu sabotieren.

Dabei verausgabte ich mich völlig. Schließlich war es meine Aufgabe, mich um den Zustand der Websitecommunity zu kümmern. Ich war diejenige, die am Verhaltenskodex mitarbeitete, der für die Website maßgeblich war. Ich war die Torwächterin, und alle sollten sich einfach nur BENEHMEN.

Nur, dass sie es nicht taten. Die Leute sind nun mal so – fähig zu den größten Niederträchtigkeiten und der allergrößten Frömmigkeit. Ich wollte mich eigentlich nicht damit befassen, ob jemand einen anderen Benutzer ein Arschgesicht nannte oder nicht.

An einem Samstag saß ich in meiner Küche und dachte über den Verhaltenskodex nach, den ich verteidigte. Während ich so mit einem Kugelschreiber herumkritzelte, kam mir eine Erleuchtung. Was wäre, wenn es keinen Verhaltenskodex („code of conduct“), sondern einen Verhaltenskabeljau („cod of conduct“) gäbe? Und wenn es ihn gäbe, wie würde dieser Kabeljau dann aussehen und sich verhalten? Ich bin in Neuengland aufgewachsen, wo wir Kabeljau gegessen haben. Weißen, schuppigen, langweiligen Kabeljau. Ich wollte in der Lage sein, meine QnA-Mitglieder mit dem Ton eines Kabeljaus zu schelten oder ihnen zu schmeicheln. Nicht nur mit der Vorschlaghammermethode der „Löschen“-Schaltfläche, die ich in letzter Zeit viel zu häufig verwendete, sondern mit bissigem Witz, der den Betreffenden zum Lachen bringen würde, während er gelobte, sich zukünftig zu benehmen. Damit war Norbert, der Verhaltenskabeljau, geboren. Ich überlegte, ob ich ihn mit einer Pfeife ausstatten sollte, dachte mir aber, dass die Fliege ausreichte.

Der Verhaltenskabeljau

Der Verhaltenskabeljau  (Klicken Sie zum Vergrößern auf das Bild)

Ich lud meine Fischzeichnung in eine neue LiveID hoch, gab ihr einen QnA-Benutzernamen, und Norbert, der Verhaltenskabeljau, war startbereit. Es war jedoch nicht immer ich, die hinter ihm stand. Manchmal übernahm ein anderes Teammitglied die Kabeljaurolle und schimpfte mit den Übeltätern. Wer ist der Verhaltenskabeljau? Siehe go.microsoft.com/fwlink/?LinkId=99044. Verletzt der Verhaltenskabeljau die Gefühle anderer? Siehe go.microsoft.com/fwlink/?LinkId=99045.

Die QnA-Communitymitglieder akzeptierten ihn wie selbstverständlich. Sie neckten ihn, riefen ihn herbei, waren sauer auf ihn. Er erzog die Neulinge, schimpfte mit denen, die unser Meinung nach eines Besseren belehrt werden konnten, und stellte eine fröhliche Betrachtungsweise der Regeln zur Verfügung, die über das Lesen einer auf Fakten beschränkte, im juristischen Jargon geschriebenen Webseite hinausging.

Regeln (egal, ob es sich um Unternehmensrichtlinien, das Stammesgesetz oder die Hackordnung auf dem Spielplatz handelt) hängen alle vom guten Willen derjenigen ab, die die Auswirkungen ihrer Durchsetzung spüren. Als IT-Mitarbeiter oder Entwickler einer Communitywebsite können Sie Tools erstellen, die bei der Durchsetzung der Regeln helfen, aber bisweilen ist das beste Tool für diese Aufgabe etwas, das aus Ihrem Innern kommt oder auf die Menschlichkeit aller Stammesmitglieder zurückzuführen ist. Anstelle reiner Technik kann ein wenig Social Engineering wirksamer sein. In diesem Fall unter Mitwirkung eines Fischs.

Betsy Aoki ist Community Program Manager für Microsoft im Xbox-Team. Ihre leichten Neurosen finden starken Ausdruck in ihren E-Mails, Blogbeiträgen und hoffentlich im XNA Framework.

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