Berichte aus der PraxisDie fungible Zukunft

Romi Mahajan

Der Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler Karl Marx schrieb in einer seiner Abhandlungen „alles, was fest ist, löst sich in Luft auf“ und kennzeichnete damit die sich ändernden Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Klassen, die durch die wachsende Industrialisierung und den Kapitalismus im Europa des 19. Jahrhunderts verursacht wurden. Diese tief greifende Einsicht, dass Trennungen und Klassen nie ganz starr sind, spiegelt sich in zahlreichen Situationen und Zusammenhängen wider, nicht zuletzt in der Welt der Technologie, einer Welt, in der die einzige Konstante in der Veränderung liegt.

In dieser sich ständig ändernden Branche gibt es kein besseres Beispiel für rapide Veränderungen (und die damit verbundenen Herausforderungen) als der Aufstieg der verbraucherorientierten Technologie. IT wurde verkommerzialisiert und verbraucherorientiert, und die stärksten Anzeichen einer Änderung liegen im Privatbereich, mit großen Auswirkungen sowohl auf das Geschäfts- als auch das Privatleben. Dieses Phänomen nimmt mehrere Gestalten an:

  1. Die Welt von Web 2.0 dreht sich um das Schreiben und Lesen im Internet. Das Veröffentlichen im Internet kennzeichnet in erster Linie die Rolle des Autors als Verbraucher.
  2. Verbraucheranwendungen und -technologien stellen Unternehmen in gutem Licht dar („Heiligenschein-Effekt“).
  3. Der Großteil des Internets wird aufgrund der Verbraucherorientierung von IT geplant und getestet.
  4. IT-Einrichtungen wie Helpdesks müssen aufgrund der sich verwischenden Grenzen zwischen der Nutzung von Technologien im Heim und im Unternehmensbereich anders planen, den Umgang damit lernen und Konsequenzen daraus ziehen.
  5. Menschen treffen Entscheidungen, und diese Menschen sind sowohl Verbraucher als auch Fachleute.
  6. Die „bevorzugte“ Technologie eines Benutzers ist fast immer ein Verbraucherprodukt, kein Unternehmensprodukt.

Die Implikationen sind tief gehend, und Kategorien sind austauschbar, wie in nur einigen wenigen Beispielen deutlich wird. Einer meiner Freunde arbeitet in einem technologieorientierten Unternehmen und erzählte mir, dass ganze 8 Prozent aller Helpdeskanrufe in seinem Unternehmen von iTunes-Aktualisierungen herrühren. Das Whitepaper von Cisco „The Exabyte Era“ beginnt mit zwei Punkten: Das Internet bricht nicht unter dem Gewicht von Streamingvideo zusammen, und YouTube ist erst der Anfang. Apple Corporation verfügte im März 2007 über fast 10 Prozent des Einzelhandelsmarktanteils für Laptops. Gemäß einem Bericht der amerikanischen Marktforschungsgruppe NDP zeigt sich hier der „Heiligenschein-Effekt“ von iPod in Aktion. Microsoft investiert stark in die Bereiche Spiele, Musik, digitale Fotografie und Videohosting. Manche Unternehmen halten heute bereits Besprechungen in Second Life ab.

Technologiemarken erhielten größere Bedeutung und wurden verallgemeinert. Somit erlangen sie einen Anflug von Dauerhaftigkeit. Benutzer „googeln“ nach Begriffen, alle sprechen von iPods, man stellt sich über „myspace“ dar und spielt „Xbox®“. Es wurde eine emotionale Verbindung zwischen Menschen und ihren Technologien geschaffen, und diese Verbindung überträgt sich vom Büro nach Hause zurück zum Büro und weiter auf das Ansehen der Unternehmen, die diese Geräte, Anwendungen, Websites und Communitys schaffen. Die von uns geschaffene Sichtweise – gut, schlecht oder neutral – gilt sowohl im Privat- als auch im Berufsleben.

Was für einen Einzelnen relevant ist, ist daher eine komplizierte Angelegenheit. Eine grundlegende Kulturverschiebung ist erforderlich, damit Unternehmen sich den Herausforderungen stellen können, ihre Werbebotschaft anzupassen, sich in den Kunden hineinzuversetzen und seinen Anforderungen nachzukommen. Früher, vor der starken Spezialisierung auf Rollen, waren generische Werbebotschaften die Grundlage des Marketings. Seit neuester Zeit wird jedoch eher auf „zielgerichtetes“ Messaging gesetzt, das eine äußerst präzise Abstimmung auf Kategorien wie Berufsbezeichnung, Zielgruppensegment, Unternehmensgröße und bestimmte Technologien ermöglicht. Was dabei jedoch verloren ging, ist die Tatsache, dass tatsächlich alles, was fest ist, sich in Luft auflöst. Das Ansprechen von Menschen in ihrem Privat- und Berufsleben ist die einzige Möglichkeit, eine Verbindung herzustellen und dem Trend voraus zu sein.

Fungibel zu sein bedeutet austauschbar zu sein und keine scharfen Grenzen zwischen Kategorien aufzuweisen. Anders gesagt können zwischen der Sichtweise von Verbraucher- und Unternehmenstechnologien nicht länger Grenzen gezogen werden. IT ist inzwischen verbraucherorientiert, und die Zukunft somit tatsächlich fungibel.

Romi Mahajan ist Marketingdirektor für das Technical Audience und Platform Marketing Team bei Microsoft. Von Romi Mahajan sind bereits in vielen Bereichen zahlreiche Veröffentlichungen erschienen, darunter Politik, Umwelt, Technologie und Soziologie.

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