Windows ConfidentialBeseitigen antiquierter Features

Raymond Chen

Es geschieht nicht oft , aber gelegentlich wird ein altes Feature gelöscht – unter großem Jubel des Produktteams. In Windows® XP wurde beispielsweise die Schnittstelle für das Festlegen eines Desktopmusters entfernt. Die zugrunde liegende Funktionalität ist immer noch vorhanden, wenn Sie es fertig bringen, ein Programm zu schreiben, das SystemParametersInfo(SPI_SETDESKPATTERN) aufruft. Es gibt dafür jedoch keine integrierte Schnittstelle mehr. Warum wurde das Desktopmuster aus der Systemsteuerung für den Desktop entfernt?

Unsere Recherchen ergaben, dass praktisch niemand mehr Desktopmuster verwendet. Sie erfreuten sich höherer Beliebtheit, als Speicher noch teurer war und die Benutzer nicht ein Viertel des Arbeitsspeichers des Computers für eine Hintergrundbild-Bitmap mit einer Größe von 1 MB verschwenden wollten. Ein winzig kleines Schwarzweißmuster mit einer Größe von 8 x 8 Bildpunkten, das über den gesamten Bildschirm wiederholt wurde, ergab auf einem Bildschirm mit 640 x 400 Pixeln einen gewissen Grad der Personalisierung zu viel niedrigeren Kosten.

Im Laufe der Zeit vorgenommene Änderungen ließen jedoch Desktopmuster immer weniger attraktiv erscheinen. Einerseits haben Computer jetzt einen viel größeren Arbeitsspeicher, als dies im Jahr 1983 der Fall war. Andererseits (ebenfalls offensichtlich) arbeiten Monitore heute mit viel höheren Auflösungen als damals. Ein niedliches Pepitamuster im Format 8 x 8 ist im Grunde ein Einheitsgrau, wenn es auf einem Monitor mit einer Auflösung von 1600 x 1200 angezeigt wird.

Dies ist nicht das einzige alte Feature, das auf dem Müll gelandet ist. Ein weiteres Beispiel sind Datenauszüge. Datenauszüge wurden mit Windows 95 eingeführt und erscheinen als Fragmente von Dokumenten, die in einer Datei erfasst werden. Das Dateifragment ist in Wirklichkeit ein OLE-Objekt. Die Idee hinter Datenauszügen bestand darin, dass Sie beispielsweise Text in einem Textverarbeitungsprogramm markieren und auf den Desktop ziehen konnten, wo dann ein Datenauszug erstellt wurde. Später konnten Sie den Datenauszug zurück in das Textverarbeitungsprogramm oder in ein anderes Programm ziehen, und der Text, den Sie zum Erstellen des Datenauszugs verwendet hatten, wurde in das neue Dokument eingefügt. Der Vorgang ist mit dem Kopieren und Einfügen vergleichbar, außer dass die Daten in einer Datei gespeichert wurden, statt sie vorübergehend in der Zwischenablage zu speichern.

  

Nachdem Sie eine solche Datenauszugsdatei erstellt hatten, bestand die einzige Aktion, die sie mit ihr durchführen konnten, darin, sie in ein anderes Dokument einzufügen – genau so, wie Sie ein in der Zwischenablage gespeichertes Element lediglich an anderer Stelle wieder einfügen können. Irgendwann fügte jemand das Feature hinzu, dass Sie auf die Datenauszugsdatei doppelklicken konnten, um sie in der Anwendung zu öffnen, mit der sie ursprünglich erstellt wurde. (Da die Inhalte beliebiger Natur sein konnten, bestand die einzige Möglichkeit zum Anzeigen des Datenauszugs darin, das Programm zu fragen, von dem er ursprünglich erstellt wurde.)

Mir ist nicht bekannt, ob dieses Feature als Debuggingtool hinzugefügt wurde oder ob es den Benutzern ermöglichen sollte, den Inhalt eines Datenauszugs anzuzeigen, ohne ein Dummydokument erstellen zu müssen, in dem sie ihn ablegen konnten. Wie dem auch sei: Virenschreiber liebten jedenfalls diese Funktionalität zum Öffnen der Anwendung, mit der der Datenauszug ursprünglich erstellt wurde. Sie ermöglichte ihnen nämlich, eine Datenauszugsdatei zu erstellen und mit Daten zu füllen, die angaben: „Die ursprüngliche Anwendung ist cmd.exe, und das Dokumentfragment ist diese Batchdatei“. Wenn ein Benutzer auf diese Datenauszugsdatei doppelklickte, um ihren Inhalt anzuzeigen, übergab die Datenauszugsanzeige eine Batchdatei an den Befehlsprozessor und teilte ihm mit: „Bitte diese Datei öffnen und dem Benutzer anzeigen“.

Angesichts der Geschichte der Datenauszüge machte sich das Shellteam daran, das Feature aus Windows Vista® zu entfernen. Hierzu musste das Team untersuchen, wie beliebt Datenauszüge in der Praxis waren. Daher bat das Shellteam die Produktsupportgruppe, die Protokolle der Gruppe aufzurufen, um festzustellen, wie viele Personen mit Fragen zu Datenauszügen angerufen hatten. Die These war, dass ein beliebtes Feature Supportanrufe mit sich bringt, während diese bei unbeliebten Features ausbleiben (weil sie von niemandem verwendet werden). Insbesondere Datenauszüge fallen nicht gerade in die „absolut intuitive“ Kategorie von Features. Daher konnte eine kleine Anzahl von Aufrufen nicht damit erklärt werden, dass das Feature so unkompliziert war, dass niemand anrufen musste, um Hilfe zu ihm zu erhalten.

Die Antwort von der Produktsupportgruppe ging ein. Im vergangenen Jahr hatte die Gruppe insgesamt vier Anrufe erhalten. Alle von ihnen lauteten in etwa wie folgt: „Ich habe diese seltsame Datei erstellt. Worum handelt es sich dabei, und wie werde ich sie los?“

Raymond Chen befasst sich auf seiner Website „The Old New Thing“ und in seinem gleichnamigen Buch (Addison-Wesley, 2007) mit der Geschichte von Windows und mit der Win32-Programmierung. Die Veröffentlichung des letzten Artikels von Raymond liegt schon eine Weile zurück, und er fragt sich, wie es Ihnen geht.

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